Der Wolf

Die Zahl der Wolfsterritorien 2017/18 in Deutschland – eine Berechnung

Liest man auf den Seiten von BfN, DJV, Wolfsmonitor, Wölfe in Deutschland oder anderen einschlägigen Seiten und möchte sich über die Anzahl der Wölfe in Deutschland informieren, stößt man unausweichlich auf ein Kompetenzgerangel, was die Zahlen über die in Deutschland lebenden Wölfe angeht.  Es kursiert eine Vielzahl von Zahlen und gerade unter Wolfsfans immer wieder die Vermutung, die vom DJV ins Spiel gebrachten Zahlen dienten einzig dazu, um den Wolf möglichst schnell bejagen zu können, was ich etwas kurz gegriffen finde. Aber es ist wie immer die Frage, was wurde wie und wann gezählt und womit kann der Normalsterbliche, der Antworten auf seine Fragen sucht, etwas anfangen!

Verwirrend für den Laien ist, dass Zahlen zwischen 150 – 160 Tieren (BfN 2016/2017), 837 Tieren (Wölfe in Deutschland, 13.07.2018) und den 1.000 (DJV, 2018) Tieren auftauchen. Diese Frage hat selbst die Tagesschau umgetrieben, wie es zu diesen verwirrenden Zahlen kommen kann. Ich komme auf Grund der offiziellen Zahlen des DBBW, der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf auf etwa 310 erwachsene, geschlechtsreife Tiere oder insgesamt (mit Welpen) etwa 830 Tiere für ganz Deutschland für das Monitoring-Jahr 2017/18 (Abschluss 30.04.2018). Wie ich darauf komme, werde ich im Folgenden erklären und stelle es jedem frei, dies nachzuvollziehen.

Die Frage ist immer; was wurde wann gezählt? Will man aus diesen Zahlen, wie auch aus denen des DBBW, der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf Schlüsse für die Gegenwart ziehen, ist immer zu beachten, dass das Monitoringjahr für den Wolf vom 01.05. bis zum 30.04. festgelegt ist, d.h. immer die Daten des vorangegangen Kalenderjahres wiedergegeben werden. Das DBBW bezieht sich auf die geschlechtsreifen, territorialen Tiere, die per DNA nachgewiesen wurden zum Zeitpunkt 2017/2018 (also am 30.4.2018) – biologisch richtig, aber missverständlich für den nicht biologisch vorgebildeten Menschen, den die Gesamtzahl interessiert. Zudem laufen die Monitoringdaten aus 16 Bundesländern beim BfN zusammen, was dauern kann und weshalb diese Daten immer schon recht alt sind. Die im November 2018 publizierten Zahlen für 2017/18 geben also den Sommer-/Herbstbestand der geschlechtsreifen adulten Tiere, die in 2017 ein Revier besetzt haben, wieder. Falsch wird es, wenn diese Zahlen als aktueller Bestand angegeben werden, obwohl sie über ein Jahr alt sind und man bisher von einem jährlichen Zuwachs von ca. 34 % ausgeht.

Wolf (C), Foto: Anika Börries

Will man etwas über die Anzahl der Tiere sagen können, sind die nachgewiesenen Territorien (Reviere) aber schon mal sehr hilfreich. Diese Territorien lassen sich oft ziemlich genau über das Monitoring (v.a. DNA) nachweisen und eingrenzen und sind daher eine gute Größe, die man für eine Schätzung heranziehen kann. Vagabunden, die zwar per DNA nachgewiesen werden können, aber überall mal auftauchen, sind für diese Abschätzung nicht so geeignet, weil man nie weiß, wo sie am nächsten Tag auftauchen. Hier zeigt sich wieder, wie wichtig das Monitoring für eine Versachlichung der Diskussion ist, weshalb ich jeden dazu auffordere, mit seinen Beobachtungen dazu beizutragen!

Die Daten für 2017/2018 werden wahrscheinlich erst ab Herbst für die meisten Bundesländer vorliegen und dann erst im nächsten Jahr vollständig vom BfN ausgewertet sein, was ich nun nicht wirklich befriedigend finde in der Diskussion. Mich interessiert die aktuelle Entwicklung. In der heutigen Zeit kauft einem kein Mensch mehr Daten aus dem Vorjahr ab – vor allem nicht in einem Bereich mit einer derart dynamischen Entwicklung. Von welchen Zahlen kann man aktuell ausgehen?

Mein Ziel ist es, einen Beitrag zur Versachlichung in die Diskussion zu bringen. Um da eine für mich nachvollziehbare Antwort zu entwickeln, habe ich ein Programm vom European Bird Census, TRIM (TRends and Indices for Monitoring data) genutzt. Die Bedienung ist etwas hölzern (mit Texttabellen), aber es kann rechnen. Der Algorithmus geht davon aus, dass man nicht alle Daten haben kann und das jeder Kartierer unterschiedlich zählt. Also das, was man braucht, um aus mehr oder weniger vollständigen Daten Prognosen abzuleiten. Deshalb gibt es standardmäßig einen Fehlerkoeffizienten, der ebenfalls in der Graphik dargestellt wird. Die Graphik habe ich mit den Zahlen aus dem Programm in einem modernen Programm für Tabellenkalkulation  graphisch aufbereitet, weil es sonst nicht sehr leserlich ist.

Um zu Antworten zu kommen, ohne sich auf die Aussagen der unterschiedlichsten Interessengruppen verlassen zu müssen, habe ich die öffentlich vorliegenden, bestätigten Daten vom DBBW, die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf und www.wolfsmonitoring.com einzeln nach Bundesländern und Jahren in die Software gefüttert. Ich habe mich bei der Berechnung allein auf die nachgewiesenen Territorien für das jeweilige Jahr beschränkt und diese je nach Bundesland eingegeben, weil in Deutschland natürlich jedes Bundesland anders zählt. Für 2017/2018 haben noch nicht alle Bundesländer ihre Daten ins Internet gestellt, so dass ich nur mit den bereits bekannten Daten rechnen kann und für die nicht vorhandenen Daten „no Data“ angegeben habe.

Es wurden Territorien (von Rudeln und Paaren, ohne Einzeltiere) herangezogen, weil ich davon ausgehe, dass es Energie kostet, ein Territorium zu etablieren, es sich also „lohnen“ muss und weil ich weiter davon ausgehe, dass der Nachweis eines Rudels (also der Reproduktion), in etlichen Gegenden Deutschlands eher ein Zufallsbefund ist. Vor allem sagt der Nachweis der Reproduktion im Sommer nichts darüber aus, ob das Rudel vielleicht besteht, die Welpen aber kurz nach der Geburt z.B. auf Grund von Witterung, Krankheiten, Parasiten etc. verloren hat. Kurz gesagt, ich habe mich auch hier an der Ornithologie orientiert, wo zur Bestandsermittlung auch nur die Brutreviere, sprich die singenden / balzenden Männchen, herangezogen werden und kaum einer die einzelnen Nester sucht – auch um unnötige Störungen zu vermeiden. Es sei denn man stolpert über die Gelege oder die Gelege müssen gezielt geschützt werden (z.B. Horstbäume bei Greifvögeln etc.), was aber für die Bestandserfassung nicht ausschlaggebend ist. Die Tabelle zeigt die Zahlen der Rudel und Paare. Die Einzeltiere wurden nicht berücksichtigt. Die Zahlen stammen bis 2017/2018 ausnahmslos vom DBBW; ab 2018/2019 wurden die Zahlen von www.wolfsmonitoring.com oder von www.lausitz-wolf.de herangezogen, weil die DBBW zu diesem Zeitraum nur unvollständige Daten angibt. Interessanter Weise ändert sich in der Berechnung aber nichts, wenn ich für Brandenburg „no data“ angebe… 😉

Bestätigte Rudel und Paare (ohne Einzeltiere) vom DBBW.
Jahr / LandBayernBrandenburgMecklenburg-VorpommernNiedersachsenSachsenSachsen-AnhaltThüringenSumme
2000/01

0

000100

1

2001/02

0

000100

1

2002/03

0

000100

1

2003/04

0

000100

1

2004/05

0

000300

3

2005/06

0

000300

3

2006/07

0

000300

3

2007/08

0

100500

6

2008/09

0

200510

8

2009/10

0

300510

9

2010/11

0

500810

14

2011/12

0

7011020

20

2012/13

0

10131150

30

2013/14

0

11251260

36

2014/15

0

17281590

51

2015/16

0

2431019120

68

2016/17

2

2841620120

82

Und damit es nicht langweilig wird, habe ich für 2018/2019 mal eine Schätzung gewagt (bzw. das Programm weiter rechnen lassen), da ich bei Berechnungen anderen Tierarten erstaunt über die Zuverlässigkeit war, da das Programm „Change-Points“, also Änderungen in der Entwicklung, statistisch erkennt. Zudem glaube ich auch nicht, dass sich die Populationsdynamik in den nächsten Jahren abrupt ändern wird, sondern es bei Erreichen des Klimax zu einer sukzessiven Abflachung der Populationsdynamik kommen wird, aber das ist eine persönliche Einschätzung. Allerdings wird der Fehlerkoeffizient natürlich entsprechend größer, je weiter ich in die Zukunft schaue, bzw. je weniger Daten vorliegen.

Im Ergebnis kann man nach dieser Berechnung für 2017/18 mit etwa 100 Wolfsterritorien (inkl. der bereits nachgewiesenen) in Deutschland ausgehen +- 10, die bisher nicht erfasst wurden oder eventuell wieder verschwunden sind. Für das Monitoring-Jahr 2018/2019 erwartet TRIM schon etwa 120 Territorien (wobei der Fehler hier schon deutlich höher angegeben wird). Weitere Daten (Chi-Quadrattest oder Signifikantstests für die Änderung der Entwicklungen (Changepoints)) sind der Graphik zu entnehmen.

Nun sind Informationen über das Sozialverhalten der Art wichtig, um weitere Aussagen treffen zu können. Man kann im Schnitt davon ausgehen, dass ein Rudel aus zwei Elterntieren, den Jährlingen aus dem Vorjahr und den aktuellen Welpen besteht. Man rechnet also pro Rudel mit ca. 10 Tieren (inkl. Welpen). Da auch Territorien von Wolfspaaren (also Territorien, in denen nur zwei Tiere nachgewiesen werden konnten) in die Berechnung einflossen, sollte man von 8 Tieren pro Rudel ausgehen, um die Territorien ohne Reproduktion mit anzubilden.

Wolfsmonitor rechnet zu den zwei erwachsenen Tieren eines Territoriums immer noch ein statistisches drittes erwachsenes Tier außerhalb des Rudels, um die Vagabunden mit abzubilden. Es sind also zwei Größen für die Fragestellung zusätzlich zur Anzahl der Territorien relevant: Die statistisch zu erwartenden erwachsenen Tiere und die statistisch zu erwartende Gesamtzahl der Tiere (inkl. Welpen). Den Rest der Berechnung überlasse ich dem Leser, um sich ein Bild von der Population der in Deutschland lebenden Wölfe zu machen. Nur soviel; inkl. Welpen kann man 2017/2018 bei 100 Territorien von ca. 800 Wölfen in Deutschland, bzw. ohne Welpen von etwa 300 adulten Wölfen ausgehen (also Territorien x 3). Unter den Welpen ist allerdings die Sterblichkeit im ersten Jahr unter Umständen sehr hoch (was aber nicht zwingend so eintreten muss). Immerhin reicht die Überlebensrate der Tiere für eine Expansion der Wolfsterritorien, wie wir sie aktuell in den letzten Jahren mit erleben; zwischen 2009 und 2017 entspricht das im Mittel einer jährlichen Zuwachsrate von 34 %.

Wie gesagt, ich hoffe, dass dieser Beitrag zur Versachlichung der Diskussion über die Populationsentwicklung des Wolfes in Deutschland beiträgt. Die Frage, wie man mit einer wachsenden Population eines großen Beutegreifers in Deutschland umgeht, welche Folgen das hat oder haben kann, ist eine andere! Den Rest wird die Zukunft zeigen. Es bleibt spannend!

Literatur / Datenquellen

Buchtipps

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5 Kommentare

  • Günther

    wie man lesen kann, gelingt es der konservativen Jägerin Börris nicht, sich sachlich mit dem Wolf zu beschäftigen. Zu nahe dran an den konservativen Niederwildjägern ist sie ja auch eine Befürworterin der Vernichtungsstrategien gegen andere Beutegreifer, wie Fuchs und Rabenvögeln. Wer, wie Börris, das Vernichten von Fuchswelpen als Artenschutz verkaufen will, hat keinerlei wissenschaftliche Grundlage zu bieten, nur die Nähe zu konservativen Jägern, sehr traurig das ganze. Es würde Frau Börris gut zu Gesicht stehen, nicht immer ihre angebliche Qualifikation in den Vordergrund ihres Handelns zu stellen, man könnte ja meinen, in Deutschland wird erzkonservatives Gedankengut, aufgebaut auf Jagdfieber, vermittelt

    • Christoph

      Ich sehe in dem Vortrag nun keinerlei Verbindung mit der Jagd. Sachlich, informativ und wahrlich mit dem Thema vertraut. Die gelieferten Zahlen basieren auf veröffentlichte Daten, einzig der Ausblick für die Zukunft könnte infrage gestellt werden. Ich persönlich finde diese Veröffentlichung positiv weil eben nicht nur mit Daten gearbeitet wird die ein bis zwei Jahre alt sind.

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