Nachdenkliches

Welt in Unordnung – warum wir wieder über Aufklärung sprechen sollten

Was Voltaire, Montesquieu und Kant uns heute über Freiheit, Vernunft und Verantwortung lehren

Es knirscht im Fundament unserer Welt: Freiheit, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit – Werte, die lange selbstverständlich schienen, geraten ins Wanken. Weltweit erleben wir, wie Macht sich konzentriert, Spaltungen wachsen und der Ton rauer wird. Russland regiert mit eiserner Hand, China kontrolliert Gedanken, in den USA und Europa gewinnen Populisten an Einfluss. Und überall dort, wo Angst und Misstrauen zunehmen, wächst die Versuchung, in Autorität und Härte die Lösung zu sehen.

Doch Stabilität ohne Freiheit ist kein Fortschritt – sie ist Rückschritt. Schon Benjamin Franklin warnte:

Wer grundlegende Freiheit aufgibt, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu gewinnen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.

Benjamin Franklin (1706–1790)

Ein Blick zurück – um voranzukommen

Um zu verstehen, was wir verlieren könnten, lohnt sich ein Blick zurück: in die Zeit der Aufklärung.
François-Marie Arouet Voltaire (1694–1778), Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (1689–1755) und Immanuel Kant (1724–1804) prägten im 18. Jahrhundert Ideen, die bis heute das Rückgrat unserer Demokratie bilden – Vernunft, Toleranz, Freiheit, Verantwortung. Und gerade jetzt, da diese Werte wieder unter Druck stehen, wirken ihre Gedanken erstaunlich modern.

Voltaire: Freiheit durch Toleranz und Mut zum Denken

Voltaire war der unbequeme Geist seiner Zeit – ein Kämpfer gegen Fanatismus, ein Verteidiger der Vernunft. Für ihn war Meinungsfreiheit die Grundlage einer freien Gesellschaft. Der oft zitierte Satz, der seine Haltung treffend beschreibt, stammt zwar von Evelyn Beatrice Hall, fasst aber Voltaires Geist perfekt:

Ich verabscheue, was du sagst, aber ich werde dein Recht, es zu sagen, bis zum Tod verteidigen.

Evelyn Beatrice Hall (1868–1956)

Sein „Traité sur la tolérance – Aufrufe zur Toleranz“ (1763) bleibt bis heute ein Manifest menschlicher Vernunft:

Was ist Toleranz? Sie ist die Folge der Menschlichkeit. Wir sind alle voller Irrtümer und Schwächen; verzeihen wir einander unsere Torheiten – das ist das erste Gesetz der Natur.

Und weiter schreibt er:

Lasst uns Toleranz üben, damit wir in Frieden leben können – auch wenn wir verschieden glauben.

Und schließlich:

Jede Religion, die verfolgt, ist falsch. Jede Religion, die duldet, ist weise.

In einer Zeit, in der Hetze und Polarisierung Alltag geworden sind, klingt das fast wie ein Hilferuf aus der Vergangenheit: Ohne Toleranz verliert Freiheit ihren Sinn. Voltaires Botschaft ist klar und zeitlos: Gesellschaft wird nicht stark durch Rechthaben, sondern durch die Fähigkeit, Unterschiedlichkeit auszuhalten – im Glauben, im Denken, im Leben.

Montesquieu: Macht braucht Kontrolle

Montesquieu war der Architekt der Gewaltenteilung – eine Idee, die heute wieder in Erinnerung gerufen werden sollte. Sein berühmter Satz bleibt zeitlos:

Es ist eine ewige Erfahrung, dass jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu missbrauchen.“

Darum trennte er Legislative, Exekutive und Judikative – nicht als Formalität, sondern als Schutzmechanismus. Wenn Gerichte politisiert, Parlamente geschwächt oder Medien eingeschüchtert werden, dann steht die Freiheit auf dem Spiel. Was in Polen, Ungarn, Israel oder den USA geschieht, sollte uns mahnen: Ohne Kontrolle der Macht schwindet die Demokratie.

Kant: Freiheit bedeutet Verantwortung

Immanuel Kant brachte die Idee der Aufklärung auf den Punkt:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Und:

Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Aufklärung, das heißt nicht nur: Wissen anhäufen. Es heißt, selbst zu denken – und Verantwortung zu übernehmen. Nicht anderen das Denken zu überlassen, nicht der lautesten Meinung zu folgen, sondern Vernunft walten zu lassen.

Warum die Aufklärung heute wieder gebraucht wird

Voltaire, Montesquieu und Kant erinnern uns daran, dass Freiheit, Toleranz und Menschenwürde keine Selbstläufer sind. Sie müssen immer wieder neu verteidigt und mit Leben gefüllt werden.

Denn die Versuchung, Halt im Autoritären zu suchen, ist groß. Doch sie führt in die Irre. Die Antwort auf Unordnung ist nicht mehr Kontrolle, sondern mehr Vernunft. Nicht mehr Härte, sondern mehr Menschlichkeit. Nicht Lautstärke, sondern Zuhören.

Die Aufklärung ist kein abgeschlossenes Kapitel – sie ist ein Auftrag

Ohne die Ideen der Aufklärung gäbe es keine freie Wissenschaft, keine Bildung für alle, keine sozialen Aufstiegschancen, keine demokratischen Institutionen. Freiheit und Bildung sind keine Luxusgüter – sie sind das Fundament unseres Wohlstands und unserer Würde.

Ihre Schriften sind keine verstaubte Philosophiegeschichte, sondern lebendige Denkanstöße für unsere Gegenwart. Unsere Verfassung, unsere Rechte, unsere offene Gesellschaft – all das trägt die Handschrift jener Denker. Doch Papier allein reicht nicht. Sie leben nur weiter, wenn wir sie tagtäglich verteidigen.

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit.

Sie lebt davon, dass wir sie schützen – mit Herz, mit Haltung, mit Vernunft. Jetzt!

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