Nachdenkliches

Wer die Wahl hat …

Mai 2001, ein kleiner Ort in Sachsen-Anhalt – Bürgermeisterwahlen. er einzige Kandidat erhält 67 Stimmen. Abgegebene Stimmen: 158, davon ungültige 91. Der einzige Kandidat wäre ja ohnehin Bürgermeister geworden, mit diesem Wahlergebnis aber wird er ein Bürgermeister, der seinen Posten ohne die erforderliche Mehrheit antritt.

Warum wohl geben 91 Menschen ungültige Stimmzettel ab? Wissen die nicht, wie es geht? Weit gefehlt – sie wußten genau, wie „es“ geht. Protestieren nämlich. Wären sie einfach nur nicht zur Wahl gegangen, wäre der Kandidat gleichfalls Bürgermeister geworden und wir hätten eine niedrigere Wahlbeteiligung – aber das gehört ja in Deutschland mittlerweile schon zur Normalität. Wer – außer ein paar Politikforschern und eifrigen Studenten – zerbricht sic darüber noch den Kopf? Ungültige Stimmen dagegen – man sieht es an diesem Beispiel – fallen tatsächlich auf.

Ein weiterer Unterschied des Ungültigwählers zum Nichtwähler: die Parteien erhalten Geld dafür, daß sie zur Wahl antreten. Damit sie die Plakate auf denen sie uns das Blaue (Grüne, Rote, Schwarze, Gelbe etc.) vom Himmel versprechen, auch bezahlen können. Auch für die Nichtwähler, Protestwähler, Wechselwähler usw. fließt diese pro-Kopf-Gage.

Wie diese Prämien hingegen ausbleiben, ist für die ungültigen Stimmen. In dem Dorf spielt das vielleicht keine Rolle, denn der Bürgermeister ist parteilos. Ihm bleibt nur einsam auf seinem Sessel zu sitzen in der Gewißheit, daß er mehr Gegner als Freunde hat.

Nichtwähler werden nach Lust und Laune der Politik interpretiert, dienen oft als Sündenböcke für das Versagen einzelner Parteien und ihrer blamablen Wahlergebnisse. Die sozialen Strukturen von Nichtwählern seien bekannt, sie hätten kein politisches Engagement und Interesse, wären „politikverdrossen“. Alles was tatsächlich bekannt ist, sind ihre Zahlen – je nach Wahl haben sie die 50 % – Marke bereits überschritten.

Ungültig wird ein Stimmzettel allein schon durch einen handschriftlichen Vermerk. Auch so diplomatische Entscheidungen wie zwei Kreuze führen zur Ungültigkeit. Man kann auch selber einen Kandidaten draufsetzen (den Papa z. B. oder die Oma) und ankreuzen oder den Wahlzettel mit Aufklebern versehen. Der Rentner klebt seinen letzten Pfennig drauf und der Selbständige versieht den Wahlzettel mit einem Eingangsstempel und Weiterleitungsvermerk an die Putzfrau. Der niedergelassene Arzt tackert eine Überweisung zur „weiteren Untersuchung“ dran und der Apotheker spendiert eine Schlaftablette. Der Autofahrer klebt die letzte Tankquittung drauf und der Hundehalter stempelt eine Pfote seines Vierbeiners oder opfert die Hundesteuermarke…

Übrigens: Die Briefwahl läßt sich bequem zu hause vollziehen und ein dicker Filzer, eine Klebstofftube oder ein hübscher Aufkleber finden sich dort auch. Und so läßt sich aus dem Wahltag sogar noch ein kreativer und phantasievoller Familien-Nachmittag machen.

Da es den Parteien egal ist, ob diese mit 38 % oder mit 56 % ihren Wahlsieg erreichen, sollte man wirklich die humanste Partei in Sachen Hundehaltung wählen (Oder was einem sonst wichtig ist). Die Rasseliste wurde aufgrund der angeblichen Vererbbarkeit von aggressiven Genen erstellt. Aber wenn aggressive Gene beim Hund vererbt werden, bei welchen Menschenrassen werden dann aggressive Merkmale vererbt? Diese Frage werden die Parteien in ihrer nächsten Wahlperiode zu beantworten haben.

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